Herausforderungen für die pflegerische Versorgung
Der Bedarf an Pflegeleistungen wird künftig stark zunehmen. Dafür wird gut ausgebildetes Fachpersonal benötigt, das vielerorts schon heute fehlt. Voraussetzung für ausreichendes Personal sind gute Arbeitsbedingungen und attraktive Löhne. Das führt zu zusätzlichen Kosten für Pflegebedürftige und Angehörige.
Fachkräftemangel in der Pflege
Der demografische Wandel stellt nicht nur die Finanzierung der Pflegeversicherung vor Probleme. Er führt auch zu einer massiven Verschärfung des Mangels an Pflegepersonal. 2021 betrug die Personallücke bei Pflegekräften – d. h. Stellen, die trotz Nachfrage nicht besetzt werden können – rund 57.000. Zehn Jahre vorher lag die Zahl der offenen Stellen noch bei 40.000. Das entspricht einer Zunahme von 30 Prozent.
Besonders hoch ist die Zahl der offenen Stellen, die nicht durch qualifizierte Arbeitskräfte besetzt werden können, bei den Fachkräften der Gesundheits- und Pflegeberufe. Im Jahresdurchschnitt 2023 fehlten über 17.000 Fachkräfte in der Gesundheits- und Krankenpflege, gefolgt von den Fachkräften in der Altenpflege mit einer Lücke von über 15.000 Personen.
In den kommenden Jahren wird allein schon aufgrund der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen der Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften weiter steigen. Auf Basis der Pflegestatistik sowie der Pflegevorausberechnung des Statistischen Bundesamtes hat die "Initiative generationengerechte Pflege“ mögliche Bedarfsszenarien für Pflegeheime und die ambulante Versorgung bis zum Jahr 2040 berechnet: Allein bis 2030 werden in Pflegeheimen und in der ambulanten Versorgung bundesweit voraussichtlich 130.000 Pflegekräfte zusätzlich benötigt. Bis 2040 wären es bis zu 250.000 Fachkräfte. Das entspricht rund 99.000 (2030) und 190.000 (2040) Vollzeitstellen.
Laut Pflegekräftevorausberechnung des Statistischen Bundesamtes liegt die Zahl an Pflegekräften im Jahr 2049 zwischen 280.000 und 690.000 unter dem erwarteten Bedarf.
Ländlichen Regionen droht Unterversorgung
Der Personalmangel in der Pflege wird die strukturschwachen Regionen besonders hart treffen. Das prognostiziert das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in ihrem Lagebericht „Die demografische Lage der Nation – wie zukunftsfähig Deutschlands Regionen sind“. Ältere Menschen mit einem wachsenden Pflegerisiko bleiben in den Regionen, während es junge und gesunde Menschen in die urbanen Ballungsräume zieht. Das habe massive Auswirkungen auf die pflegerische Versorgung auf dem Land, so die These. Experten glauben allerdings nicht, dass sich die dafür nötigen Fachkräfte hierzulande anwerben ließen – auch weil das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland insgesamt abnehmen werde.
Entwicklung der Pflegebedürftigen in den einzelnen Bundesländern
Das Statistische Bundesamt weist in seiner Pflegevorausberechnung auf die unterschiedliche Entwicklung der Pflegebedürftigen in den einzelnen Bundesländern hin: Bei konstanten Pflegequoten ist bis Ende 2055 der geringste relative Anstieg der Pflegebedürftigen in Sachsen-Anhalt um 7 Prozent und in Thüringen um 9 Prozent zu erwarten. Demgegenüber stehen die stärksten relativen Anstiege durch die Alterung bis Ende 2055 um 56 Prozent in Bayern und 51 Prozent in Baden-Württemberg. Der Durchschnittswert für Deutschland beträgt +37 Prozent.
Steigende Löhne bedeuten steigende Pflegekosten
Im Jahr 2021 wurde mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) die Tariftreue-Regelung eingeführt. Sie hatte zum Ziel, mit tariflichen Entlohnungen die Attraktivität der Pflegeberufe zu erhöhen. Seit dem 1. September 2022 werden Pflegeeinrichtungen nur noch zur Versorgung zugelassen, wenn zur Entlohnung der Beschäftigten im Pflege- und Betreuungsbereich Tarifverträge oder kirchliche Arbeitsrechtsregelungen nachweislich angewendet werden. Wurden keine Tarifverträge oder kirchliche Arbeitsrechtsregelungen abgeschlossen, gelten die diesbezüglichen Zulassungsvoraussetzungen auch dann als erfüllt, wenn die Pflegeeinrichtungen ihren Beschäftigten im Pflege- und Betreuungsbereich mindestens eine Entlohnung in der Höhe eines regional anwendbaren Tarifvertrags oder einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung zahlen. Näheres regelt § 72 Abs. 3a und b SGB XI. Im Gegenzug sind die Pflegekassen verpflichtet, die steigenden Lohnaufwendungen bei den Verhandlungen der Vergütung der Pflegeleistungen zu berücksichtigen und damit die Refinanzierung der Tarifbindung oder -orientierung zu gewährleisten.
Laut Zahlen des AOK-Bundesverbandes bleibt die Anzahl der tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen auf relativ niedrigem Niveau: Seit Einführung der Tarifbindung in der Pflege stieg diese von 34 Prozent auf 36 Prozent im Jahr 2024. Viele Pflegeeinrichtungen sind weiterhin nicht an einen Tarif gebunden und orientieren sich am regional üblichen Entgeltniveau.
Trotz der kaum gestiegenen Tarifbindung konnten nach Inkrafttreten des Gesetzes Lohnzuwächse in der Branche verzeichnet werden: Durch die Tariftreueregelung sind die Durchschnittslöhne in der Pflege im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr im Durchschnitt um 8 Prozent gestiegen. Im Durchschnitt erhält eine Pflegehilfskraft ohne Ausbildung heute 19,26 Euro Stundenlohn (+9,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr), eine Pflegeassistenzkraft mit mindestens einjähriger Ausbildung 21,41 Euro (+9,6 Prozent) und eine Pflegefachkraft 25,93 Euro (+9,2 Prozent). Diese Steigerungen wirken sich unmittelbar auf die Eigenanteile der Pflegebedürftigen aus.
Mehr dazu auf gkv-spitzenverband.de
Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Tariftreue-Regelungen bestehen nach wie vor viele Herausforderungen: Das Verfahren wird als komplex und fehleranfällig beschrieben. Zudem gilt die Erfassung und Überprüfung der Daten für die Pflegeeinrichtungen als auch für die Kostenträger als sehr zeitaufwendig und ist verbunden mit einem hohen bürokratischen Aufwand. Angesichts dieser Kritik und dem verfehlten Ziel, die Tarifbindung in der Pflegebranche zu erhöhen, ist zu hinterfragen, ob Lohnzuwächse für Pflegekräfte nicht einfacher und mit weniger Aufwand erreicht werden können.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat den gesetzlichen Auftrag, die Wirkungen der Tariftreue-Regelungen nach § 72 Abs. 3f SGB XI bis zum 31. Dezember 2025 zu evaluieren und ggf. erforderliche Anpassungen vorzunehmen.
Begrenzte Potenziale der Angehörigenpflege
In einer verbesserten Vereinbarkeit von Pflege und Beruf werden weitere Potenziale gesehen, um die pflegerische Versorgung bei zunehmend knapper werdenden Fachkraftressourcen in Zukunft sicherzustellen. Eine Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass dieser Ansatz aus finanziellen und demografischen Gründen an Grenzen stoßen wird.