Bewertung Referentenentwurf Pflegereform 03 2023

Initiative für eine nachhaltige und generationengerechte Pflegereform

Hypothek für den deutschen Arbeitsmarkt und die jüngeren Generationen

Der Gesetzentwurf des BMG zur Pflegereform katapultiert die Sozialbeiträge auf über 41 Prozent und erhöht das strukturelle Defizit der Sozialen Pflegeversicherung im demografischen Wandel


Der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) für ein Pflegeunterstützungs- und entlastungsgesetz sieht vor, zur Finanzierung von Leistungsverbesserungen den allgemeinen Beitragssatz zur Sozialen Pflegeversicherung (SPV) ab 1. Juli 2023 um 0,35 Prozentpunkte auf insgesamt 3,4 Prozent anzuheben. Zudem soll der Zuschlag für Kinderlose um 0, 25 auf 0,6 Prozent steigen und ihr Beitragssatz dann insgesamt 4,0 Prozent betragen, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu einer nach der Kinderzahl gestaffelten Beitragsdifferenzierung umzusetzen.
Das Gesetz hätte negative Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und würde dauerhaft das strukturelle Defizit der umlagefinanzierten Sozialversicherung zu Lasten der Lebenschancen der jüngeren Generationen erhöhen:

 

Anstieg der Sozialbeiträge auf über 41 Prozent

  • Arbeitnehmer ohne Kinder und ihre Arbeitgeber hätten gemeinsam ab dem 1.7.2023 einen Beitragssatz zur Sozialen Pflegeversicherung von 4,0 Prozent zu zahlen (heute 3,4 Prozent). Der Gesamtbeitragssatz zur Sozialversicherung läge in diesem Fall schon bei 41,4 Prozent.
  • Bei Arbeitnehmern mit einem Kind würde der Beitragssatz in der Pflege von 3,05 auf 3,4 Prozent steigen (Beitragssatz Sozialversicherung insgesamt: 40,8.).
  • Die vom Entwurf vorgesehene gestaffelte Beitragsdifferenzierung führt bei Selbstständigen erst ab 3 Kindern zu einer Entlastung gegenüber heute (2,90 statt 3,05 Prozent), Arbeitnehmer profitieren dank des Arbeitgeberanteils von 1,70 Prozent ab 2 Kindern von einer Beitragssatzreduzierung (1,45 statt heute 1,525 Prozent Arbeitnehmeranteil) - so lange die Kinder jünger als 25 Jahre sind. Größere Spielräume für eine familienfreundliche Beitragsdifferenzierung hat das infolge der Leistungsausweitungen der vergangenen Legislaturperioden bestehende Milliardendefizit der SPV nicht erlaubt.
  • Mit der geplanten Anhebung der Beitragssätze würden sich die Sozialbeiträge insgesamt noch weiter von dem wirtschaftspolitischen Stabilitätsziel der Begrenzung auf 40 Prozent entfernen – und das in Zeiten, in denen Arbeitnehmer und Unternehmen bereits durch die Inflation und hohe Kosten durch die Energiekrise belastet sind. Wenn wir diese Entwicklung zu immer höheren Sozialbeiträgen nicht stoppen, steigt die Gefahr der Abwanderung von Produktion ins Ausland sowie der Trend zur Schwarzarbeit.

Erhöhung des strukturellen Defizits im demografischen Wandel

  • Mit dem erhöhten Beitragssatz wird die umlagefinanzierte Soziale Pflegeversicherung die neuen Leistungsausweitungen, insbesondere die geplanten Leistungsdynamisierungen, den Anstieg der Beträge für ambulante Sachleistungen und die erhöhten Zuschläge zu den Eigenanteilen bei stationärer Pflege, allenfalls zum Startzeitpunkt bezahlen können – falls nicht auch diese Pflegereform wie die jüngsten Reformen von Anfang an unterfinanziert ist. Zweifel am Zahlenwerk drängen sich nämlich auf, etwa wenn das zum Teil um ein bis zwei Jahre zeitversetzte Inkrafttreten von Leistungsausweitungen als Einsparung für die SPV gewertet wird. Oder wenn der Beitragssatz zukünftig auch per Verordnungsermächtigung kurzfristig ohne Befassung des Deutschen Bundestages erhöht werden kann.
  • Was der Gesetzentwurf nicht berücksichtigt, ist in jedem Fall, dass schon in den Folgejahren die neuen Leistungen demografiebedingt von immer mehr Pflegebedürftigen in Anspruch genommen werden. Damit wird sich die Spirale steigender Beitragssätze zu Lasten des Arbeitsmarktes in jedem Fall fortsetzen. De facto erhöht eine solche Reform die Verschuldung zu Lasten der jungen Generationen, die dafür mit weiter steigenden Beitragssätzen werden aufkommen müssen.

Der Gesetzentwurf beinhaltet eine reine Leistungsanpassung, ohne den Anspruch, echte Strukturprobleme zu lösen, z. B. beim Ressourcenmangel in der Pflege. Insbesondere mit Blick auf die Finanzierbarkeit wird der erhebliche strukturelle Reformbedarf der SPV weiter verschleppt und sogar noch gesteigert, denn die Anhebung des Beitragssatzes zur Pflege reicht bestenfalls für eine kurzfristige Gegenfinanzierung der geplanten Leistungsausweitungen, aber nicht für eine nachhaltige Finanzierung. Eine weitere Umverteilung von Jung zu Alt kann vermieden werden, wenn jede Generation zumindest für die zukünftigen Kostensteigerungen in der Pflege selbst aufkommt. Eine ergänzende, generationengerechte Finanzierung im Kapitaldeckungsverfahren ist notwendig. Auch das aktuelle Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums sieht die dringende Notwendigkeit einer strukturellen Finanzreform der Sozialen Pflegeversicherung: „Noch gibt es die Möglichkeit, auf die zu erwartenden Finanzierungsprobleme zu reagieren.“

 

Download Positionspapier (PDF-Dokument, 120.9 KB)

 
 
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